[ EMPFEHLUNG ]
Vorweggenommen: In diesem Fall ging es nicht um die Vermeidung notwendiger Maßnahmen; die Geschäftsführung wollte schon aus Gründen der nachhaltigen Fachkräftebindung die identifizierten Schwachstellen und Befunde umsetzen. Es fehlte jedoch an der Identifikation der von künftigen Änderungen betroffenen Prozesse sowie an der Priorisierung der vordringlichsten und nachgeordneten Maßnahmen.
Die Beurteilung einzelner Arbeitssystem ist Grundlage zur Erfüllung der Forderung gemäß § 5 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG), wonach der Arbeitgeber ("Unternehmer") eine Beurteilung der Arbeitsbedingungen aller Beschäftigten je nach Art ihrer Tätigkeit durchzuführen hat. Die Gefährdungsbeurteilung ist somit ein Handlungsinstrument, mit dem Handlungsschwerpunkte bestimmt, betriebliche Aktivitäten der Verbesserung des Arbeitsschutzes zielorientiert gesteuert und Arbeitsschutzaktivitäten kontrolliert sowie auf ihre Wirksamkeit hin beurteilt werden können. Die verantwortungsbewusste Geschäftsführung erkannte die damit verbundenen Chacen und unterstütze das Projekt vorbildlich.
Wir empfehlen bei der Festlegung entsprechender Maßnahmen einen ressourcengerechten Blick auf die Prozesslandschaft der Organisation: Wer macht was auf welche Weise und mit welchen Arbeitsmitteln und -stoffen? Welche wiederkehrenden oder einmaligen Belastungen bestehen und wie sieht es mit der Arbeitsergonomie aus?
Diese Fragen und Feststellungen sind üblicherweise nicht Gegenstand entsprechender Prozessbeschreibungen bzw. -attributierungen. Im konkreten Fall wurde beispielsweise die "Anlieferung von Lebensmitteln organisieren" (an einer Warenannahme) als Prozess sehr genau und verständlich beschrieben. Hingegen enthielt die digital dokumentierte Prozessbeschreibung und das grafische Ablaufdiagramm keinerlei Aussagen ("Attribute" bzw. deren Ausprägungen) über die arbeitsschutzrelevanten Aspekte, in diesem Fall: Zu Arbeitsmitteln (Hubwagen, Gabelstaplern), Arbeitsumgebung (Zugluft, Tiefkühlbereiche -22° C) und der Arbeitsergonomie und -belastung.
Empfehlenswert ist bei der Modellierung betrieblicher Prozesse die Integration arbeitsschutzrechtlich bedeutsamer Aspekte: Die entsprechenden Attribute können in digitalen Prozessmodellen besonders gut abgebildet und in der Folge unter verschiedenen Aspekten ausgewertet werden. Ferner liefern dokumentierte Prozesse sowieso, unter arbeitsschutzrelevanten Aspekten angereicherte Prozesse, echte Mehrwerteim Risikomanagement und der erforderlichen Nachweispflicht durch geeignete Dokumentationen.
Mit dem Instrument der Nutzwertanalyse können die digital erhobenen und mit einer 'Fachschale Arbeitsschutz' erweiterten Prozesse sehr einfach unter einer "Arbeitsschutzsicht" ausgewertet werden: Eine mögliche Fragestellung im Analyseset wäre beispielsweise "in welchen betrieblichen Prozessen finden wie oft Arbeiten unter widrigen Umgebungsbedingungen und unter hoher, stetiger Spitzenbelastung statt?". In einem digtale Prozessmodell lassen sich auf diese Weise quantitative und qualitatve Ergebnisse generieren und diese dann in einem Maßnahmplan priorisieren.
Erforderlich ist die Einarbeitung entsprechender Attribute in die bestehende Prozessumgebung, beispielsweise durch Anwendung fertig modellierter Attribute einer Fachschale. Die für eine Nutzwertanalyse erforderlichen Attribute sind in aller Regel mit den Prozessverantwortlichen sowie den Fachkräften für Arbeitssicherheit zügig erhoben und bilden den Beurteilungsrahmen. Wir empfehlen letzthin die im Vorfeld abgestimmte Entscheidung zu den Bewertungsparametern oder die Berücksichtigung der in der Organisation "kulturell" besonders bedeutsam verankerten Werte und Prinzipien (im Praxisbeispiel: Die Integration von Menschen mit Handicaps in allen Arbeitsbereichen sowie die Berücksichtigung von Mitarbeitenden über 60 Lebensjahren).